Marketing und kognitive Verzerrungen

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich vieles verändert. Als Freuds Neffe Edward Bernays begann, die Prinzipien der Psychoanalyse auf die Massenkommunikation anzuwenden, brach eine neue Ära des Marketings an. Von da an wurde klar: Verkaufen ist nicht nur eine Frage logischer Argumente, sondern auch eine Frage von Emotionen, unbewussten Wünschen und kognitiven Verzerrungen, die unsere Entscheidungen beeinflussen – oft, ohne dass wir es überhaupt merken.

Mat May 12, 2025 6 min read
image illustrant le cerveau d'un homme avec pour titre "le marketing et les leviers cognitifs"

Du rechtfertigst mit dem Kopf, aber entscheidest mit dem Herzen.

Wir glauben gern, wir seien logisch.
Rational.
Dass wir sorgfältig abwägen, Pro und Contra analysieren, völlig objektiv entscheiden.

In Wahrheit läuft es oft genau andersherum.

Zuerst fühlen wir.
Dann handeln wir.
Und erst danach suchen wir nach Gründen.

Du entscheidest dich für ein Auto, weil es dir ein Gefühl von Kraft, Freiheit oder Sicherheit gibt.
Erst später redest du über Verbrauch, Preis oder Zuverlässigkeit, um deine Wahl zu rechtfertigen.

Das ist keine Theorie.

Das ist belegt.
Das wohl bekannteste Beispiel ist Phineas Gage, ein amerikanischer Bahnarbeiter aus dem 19. Jahrhundert.

Bei einem Arbeitsunfall durchbohrte eine Eisenstange seinen Schädel und zerstörte Teile seines präfrontalen Cortex – ein Bereich, der eng mit der Steuerung von Emotionen verknüpft ist.
Gage überlebte. Doch nach dem Unfall konnte er keine klaren Entscheidungen mehr treffen. Nicht einmal einfache.

Nicht, weil seine Logik zerstört war.
Sondern, weil er nichts mehr fühlte. Keine Emotion, kein innerer Kompass.

Im Gehirn sind die Bereiche, die beim Kauf aktiviert werden, stark mit Emotionen verknüpft: die Amygdala, das Striatum, der orbitofrontale Cortex.
Diese reagieren lange, bevor der Verstand sich meldet.

Natürlich sind Fakten wichtig.
Daten haben ihren Platz.
Aber wenn deine Botschaft nichts spürbar macht, bleibt sie wirkungslos.

Berühre erst das Gefühl.
Dann wird der Verstand viele Gründe finden, „Ja“ zu sagen.

Menschen kaufen nicht dein Produkt. Sie kaufen die Veränderung, die es verspricht.

Konsumenten unterliegen oft dem sogenannten Outcome Bias – sie bewerten eine Entscheidung anhand des Ergebnisses, nicht des Entscheidungsprozesses.
Wenn ein Produkt am Ende zufriedenstellt, erscheint die Wahl „richtig“, selbst wenn sie spontan und unüberlegt war.

Was bedeutet das für dich?
Zeig, was dein Produkt bewirken kann.
Nicht nur, was es ist – sondern, was es verändert.
Erzähl von Menschen, die durch dein Angebot echte Fortschritte gemacht haben.

Wenn es keinen Grund gibt, jetzt zu handeln, warten wir. Und vergessen es vielleicht.

Limitierte Angebote sind ein starkes Mittel, um sofortiges Handeln auszulösen.

Eine Studie von Personizely hat gezeigt, dass zeitlich begrenzte Aktionen deutlich mehr Beteiligung und Verkäufe erzeugen.
Das liegt am Gefühl der Dringlichkeit, das sie auslösen.

“Zögernde Besucher brauchen oft einen letzten kleinen Impuls, um auf ‚Kaufen‘ zu klicken. Zeitlich begrenzte Angebote liefern genau diesen Anreiz. Ihre Exklusivität und Vergänglichkeit sind der perfekte Motor, um passive Besucher in aktive Kunden zu verwandeln. Flash Sales zum Beispiel können den Umsatz um durchschnittlich 35 % steigern.”

Das menschliche Gehirn hasst es, Chancen zu verpassen.
Es reagiert stärker auf mögliche Verluste als auf mögliche Gewinne.
Daraus entsteht der bekannte Effekt: FOMOFear of Missing Out, die Angst, etwas zu verpassen.

Wenn du liest, dass ein Angebot heute endet, nur noch drei Plätze frei sind oder ein Produkt bald ausverkauft ist, reagiert dein Gehirn sofort.

Und zwar an ganz bestimmten Stellen.

Die Insula, zuständig für das Empfinden von Verlustangst und sozialem Schmerz, springt an.
Gleichzeitig wird die Amygdala aktiv – sie erkennt Bedrohungen. Und ein verpasstes Angebot wird genau so verarbeitet: als Gefahr.

Dann kommt das Dopaminsystem ins Spiel, das Belohnung antizipiert.
Ergebnis: eine innere Spannung, die dich antreibt.
Du willst. Jetzt. Sofort.

Aber Vorsicht: Dringlichkeit funktioniert nur, wenn sie echt ist.
Wenn dein Besucher merkt, dass du jeden Tag künstlich Druck aufbaust, steigt er aus. Und schlimmer noch: Er verliert das Vertrauen.

Also: erfinde nichts.
Setze klare Grenzen.
Biete wirklich nur zeitlich oder mengenmäßig limitierte Angebote. Und halte dich daran.

Wenn du „Letzte Chance“ sagst, dann meinst du es.
Wenn du Anmeldungen öffnest, schließe sie auch wie angekündigt.

Das schafft zwei Dinge zugleich:
Du erzeugst eine starke emotionale Spannung – und du baust Vertrauen auf.
In dieser Mischung entsteht eine Kaufentscheidung fast wie von selbst.

Wenn du willst, dass Menschen dir folgen, gib ihnen Sicherheit.

Die wahrgenommene Risikominimierung ist entscheidend für den Kaufimpuls.

Niemand geht gern Risiken ein.
Schon gar nicht bei Geld, Bindung oder öffentlichem Image.

Das Gehirn ist von Natur aus verlustavers.
Es meidet Fehler stärker, als es Chancen ergreifen will.
Das nennt man Loss Aversion – ein bekannter kognitiver Bias.

Aber du kannst diese Angst neutralisieren.
Nicht durch Druck.
Sondern durch Vertrauen.

Ein einfaches Beispiel:
Ein Onlineshop bietet eine 30-Tage-Geld-zurück-Garantie.
Nur dieser eine Satz reicht oft schon, um Widerstände zu lösen.
Er wirkt wie ein Sicherheitsnetz.
Der Kunde denkt: „Ich kann’s ausprobieren, ich hab ja nichts zu verlieren.“

Und meistens nutzt er die Garantie nicht.
Aber er kauft – weil sie da ist.

Hier wirkt das Prinzip der Reziprozität.
Wenn du als Anbieter einen Teil des Risikos übernimmst, ist dein Kunde eher bereit, sich auf dich einzulassen.
Denn wenn man Vertrauen geschenkt bekommt, will man etwas zurückgeben.

Der Psychologe Robert Cialdini, Experte für Überzeugungspsychologie, zeigte in Studien, dass Menschen deutlich eher kaufen, wenn sie vorab einen kleinen Vorteil oder eine Absicherung erhalten haben.
Nicht, weil sie manipuliert wurden.
Sondern, weil sie eine Art moralische Verpflichtung verspüren.
Fein. Unsichtbar. Und unglaublich wirkungsvoll.

Du kannst noch viele weitere Elemente nutzen, um Vertrauen aufzubauen:

Echte Kundenerfahrungen, klar, ehrlich, nachvollziehbar – sie lassen Interessenten sich wiedererkennen.
Sie denken: „Wenn es bei ihm funktioniert hat, klappt es auch bei mir.“

Zahlungssicherheit, Gütesiegel, SSL-Verschlüsselung – für dich vielleicht nebensächlich.
Aber für unsichere Käufer sind das wichtige Zeichen: Du bist seriös. Du schützt ihre Daten.

Dann gibt es noch die Rückgabebedingungen.

Viel zu oft vernachlässigt.
Wenn sie klar, einfach und fair sind, nehmen sie eine weitere Sorge.
Sie zeigen: Du hast nichts zu verbergen.

Du willst noch weiter gehen? Dann setze zusätzlich auf:

Diese Dinge führen nicht sofort zum Kauf.
Aber sie schaffen ein Umfeld.
Eine Atmosphäre von Vertrauen, Nähe und Respekt.

Und in dieser Ruhe fällt die Entscheidung fast von selbst.

Du verkaufst kein Produkt. Du verkaufst, was es bewirkt.

Als Apple im Jahr 2001 den iPod vorstellte, war der Slogan nicht „5 GB Speicher“, sondern:
„1 000 Songs in deiner Tasche.“

Statt technischer Daten stand das Gefühl im Vordergrund – die Freiheit, überall deine Musik bei dir zu haben.

Ein perfektes Beispiel dafür, dass Menschen keinen Speicherplatz kaufen – sondern Erlebnisse.

Knappheit zieht an. Überfluss lässt kalt.

Knappheit ist ein extrem wirkungsvoller Hebel im Marketing.

Beim Launch der PlayStation 5 kam es weltweit zu Lieferengpässen.
Und genau das löste riesige Begehrlichkeit aus.
Nicht nur, weil das Produkt gut ist. Sondern, weil es selten war.

Knappheit macht Dinge wertvoller.
Das ist ein tief verankerter Reflex.
Was schwer zu bekommen ist, will man mehr.